Ausgabe 1/2015 Wirtschaftsspiegel Thüringen - page 8

Im Gespräch
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Außensicht Thüringens hat zweifellos
gelitten“, zieht Grafe ein erstes Resü-
mee.
Er selbst ist da eher pragmatisch. Im
Grunde sei es der Wirtschaft doch egal,
wer die Wirtschaftspolitik mache, die
Politik setze die Rahmenbedingungen,
unter denen die Unternehmen dann ih-
re Arbeit machen. „Wir werden uns auch
mit diesem politischen Umfeld arran-
gieren“, sagt Grafe. Das Problem sieht er
im Wesen der Politik selbst. Gewählt
werde, wer Geschenke verteilt, und Ge-
schenke kosten Geld. Der Zusage, keine
neuen Schulden im Land zu machen,
traut Grafe nicht. Dafür sei zu vielen zu
vieles versprochen worden. Und über-
haupt habe er den Eindruck, die Verant-
wortlichen wollten mit der Wirtschafts-
politik eigentlich Sozialpolitik machen.
Grafe wäre nicht Grafe, wenn er nicht
die eigene Gilde der Unternehmerschaft
ab und an mit einem Seitenhieb beden-
ken würde. „Nicht alle Unternehmer
sind Gute. Wer über den Fachkräfte-
mangel jammert und damit nur meint,
dass es keine billigen Arbeitskräfte
mehr gibt, der hat etwas nicht verstan-
den. Diese Unternehmer müssen eine
andere Einstellung zu ihren Arbeitneh-
mern kriegen.“ Trotzdem – oder gerade
deswegen – hält Grafe die Kopplung
von Förderungen an die Lohnsumme für
falsch: „Die Politik soll Rahmenbedin-
gungen für Investitionen in Arbeitsplät-
ze schaffen, dann wird Arbeitskraft
knapp und teuer und das Problem löst
sich von selbst“, ist Grafe überzeugt.
Womit er wieder bei der Politik und ih-
rer Wechselwirkung mit der Wirtschaft
angelangt ist. Politik sei als wichtiger
weicher Standortfaktor nicht zu unter-
schätzen, betont Grafe, und führt als
Beispiel die Entwicklung in Sachsen-Anhalt ab Mitte
der 1990er Jahre an. Damals habe sich die rot-grüne
Landesregierung unter dem Sozialdemokraten Rein-
hard Höppner von der damaligen PDS tolerieren las-
sen. Dies sei von der Wirtschaft mit äußerster Zu-
rückhaltung bei der Investitionsbereitschaft quittiert
worden. Unter den Nachwirkungen leide das Land
noch heute. Deswegen fordert Grafe ein anderes –
besseres – Verständnis für die Gedankenwelt der
Unternehmerschaft ein. Unternehmer lebten in der
ständigen Angst, alles zu verlieren, was sie aufgebaut
haben. Sie sähen die Gefahr, aufs falsche Pferd zu set-
zen, wie es teilweise in der Telekommunikationsin-
dustrie der Fall gewesen sei. Deswegen machten sich
viele jetzt Gedanken darum, ihr Vermögen und ihr
Engagement zu diversifizieren.
Einen ersten Schritt ist Grafe bereits gegangen, als er
sich vor Jahren entschloss, in die Tourismusbranche
einzusteigen. Das Spa & Golfresort Weimarer Land ist
sichtbarer Beleg dafür. Heute überlegten er und seine
Brüder, sich auch regional zu diversifizieren. Im Ge-
spräch sind neue Standorte im Ausland oder in ande-
ren Bundesländern. „Allerdings ohne die Entwicklung
hier in Blankenhain zu vernachlässigen“, setzt Grafe
hinzu. Zwei Millionen Euro will das Unternehmen in
diesem Jahr hier investieren, „allerdings ohne einen
Förderantrag zu stellen“.
Dieser Halbsatz lässt aufhorchen. Ist das schon der
vielbeschworene „selbsttragende Aufschwung“? Nein,
es ist Resultat gemachter Erfahrungen. „Wenn die
Anforderungen an die Verwendungsnachweise bei der
Abrechnung der Investition andere sind, als bei der
Beantragung und der Förderzusagen, dann wird man
vorsichtig“, sagt Grafe. Er habe ein anderes Verständ-
nis von Verlässlichkeit wirtschaftspolitischer Aus-
sagen.
Diese Schere ist für Grafe ein Ausdruck des allgemei-
nen Zustands der Gesellschaft. Sie rufe nach immer
mehr Staat. Das Unternehmertum setze dagegen auf
Eigenverantwortung. Viele Bürger hätten den Ein-
druck, die Gesellschaft drifte immer weiter auseinan-
der, Aufgabe der Politik müsse es daher sein, die
Gesellschaft zusammenzuführen. Dazu gehöre es eben
auch, die Leistung anderer Menschen zu respektieren,
auch die von Unternehmern. „Leider be-
merke ich, dass die Stimmung gegen-
über dem Unternehmertum zunehmend
kritischer wird. Bis vor Kurzem galt die
Bezeichnung ‚neoliberal‘ als abwertend.
Heute reicht es schon, wenn man einen
Politiker als wirtschaftsnah bezeichnet“,
beschreibt Grafe seine Beobachtungen.
Und er befürchte, dass der Druck auf
diejenigen Unternehmer und Manager
wachsen werde, die „mal den Mund auf-
machen“, setzt Grafe mit Blick auf die
Debatten um politische Meinungsäuße-
rungen des Erfurter IHK-Präsidenten
Dieter Bauhaus hinzu.
Die Frage nach seinen Wünschen an die
Wirtschaftspolitik wehrt Grafe ab. „Für
mich stehen nicht Wünsche im Vorder-
grund, sondern Realitäten.“ Viele Poli-
tiker hätten idealistische Vorstellungen
und Theorien vom Wesen der Gesell-
schaft und ihrem Funktionieren. „Nur
stellt sich dann leider oft heraus, dass
sie in der Praxis nicht tragen. Nichts da-
gegen, dass Politiker Visionen für die
künftige Entwicklung der Gesellschaft
haben, aber es bringt nichts, wenn wir
gegen Naturgesetze verstoßen wollen.“
Insofern hegt Grafe Misstrauen gegen
die LINKE. Auf seinem Schreibtisch liegt
deren Parteiprogramm – was sicher
nicht viele Unternehmer von sich be-
haupten können. Man solle die Partei
an ihren Gedanken messen und nicht an
den wohlfeilen Worten ihrer Politiker.
Trotzdem kommt auch er nicht daran
vorbei, diese Politiker und ihre Worte
zur Kenntnis zu nehmen. Bodo Rame-
low hält er für einen „anständigen Kerl“,
mit dem man reden könne. Er sei „… ei-
ner der wenigen im Landtag, die eine
Bilanz lesen können.“ Und Wolfgang
Tiefensee als Wirtschaftsminister sei
„eine gute Wahl.“ Und dennoch gelte:
„Die Ergebnisse und Auswirkungen der
heutigen Wirtschaftspolitik werden wir
erst in fünf Jahren sehen.“(tl)
„Gewählt wird, wer Geschenke verteilt.“
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