Ausgabe 1/2015 Wirtschaftsspiegel Thüringen - page 6

Im Gespräch
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Entwicklung der Berufsakademie zur
dualen Hochschule geht, um den Erhalt
des Kulturzentrums oder die Elektrifi-
zierung der Bahnstrecke.
Sie waren in der SPD-Bundestagsfrak-
tion als Sprecher für Wirtschafts- und
Energiepolitik zuständig. Wie sehr be-
dauern Sie, dass die Energie jetzt nicht
mehr zu Ihrem Aufgabengebiet gehört?
Im Rahmen der Koalitionsverhandlun-
gen haben sich SPD, Grüne und Links-
partei darauf geeinigt, den Energiebe-
reich im „grünen“ Umweltministerium
anzusiedeln. Ich bin mir sicher, dass das
Ressort bei Frau Siegesmund gut aufge-
hoben ist. Dennoch gibt es viele
Schnittmengen mit meinem Ressort,
denken Sie nur an die Belastung der
Unternehmen durch hohe Energieprei-
se, an die Flexibilisierung von Produk-
tionslinien oder an die dezentrale
Strom- und Wärmeerzeugung in Unter-
nehmen. Ich habe mit meiner Kollegin
eine enge und konstruktive Zusam-
menarbeit abgesprochen. Die Energie-
wende ist ein wichtiges Schlüsselthema
für die SPD, deshalb werde ich die poli-
tischen Entwicklungen in Berlin und
Europa intensiv verfolgen und mich ak-
tiv einbringen, wenn wirtschaftliche
Belange tangiert sind.
Neu in Ihrem Ressort ist die Wissen-
schaft. Da liegt der Gedanke nahe, dass
sich besonders die wirtschaftsnahe
Forschung freuen darf. Bisher gelten die
Finanzzusagen an die Wissenschaft bis
2016. Müssen danach alle anderen
Angst haben? Sie haben sich ja bereits
mit den Rektoren getroffen, was war
Ihre Botschaft?
Es wird keine Verwirtschaftlichung des
Wissenschaftsbetriebs geben – auch
keine Ausrichtung auf pure Effizienz,
die der Wissenschaft schadet. Diese
Befürchtungen habe ich aus der Rek-
torenschaft gehört, und es war mir
wichtig, dies beim Gespräch in Ilmenau
mit dem Vorsitzenden der Landesrek-
torenkonferenz bereits an meinem ers-
ten Arbeitstag und beim Treffen mit den Rektoren in
der Woche darauf auszuräumen.
Die Verzahnung beider Bereiche bietet aber große
Chancen. Viele Firmenneugründungen sind im Umfeld
von Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu fin-
den. Dort haben sie einen guten Nährboden. Die
Thüringer Hochschulen sind ein Pfund, mit dem wir
noch mehr wuchern wollen, national und internatio-
nal. Sie sollen wie Magneten wirken, vor allem auf
junge motivierte Leute, die studieren und forschen
wollen. Das erfordert, dass den Hochschulen ausrei-
chend Gestaltungsspielraum bei der Profilbildung
bleibt und dass sie ausreichend finanziert werden. Der
Erhalt aller Hochschulstandorte ist im Übrigen
Bestandteil des rot-rot-grünen Koalitionsvertrags.
Sie sind auch Minister für Digitale Gesellschaft. Das ist
in Thüringen völliges Neuland – und wenn man der
Bundeskanzlerin zugehört hat, nicht nur hier. Was au-
ßer dem Breitbandausbau steht hier auf Ihrer Agenda?
Der Breitbandausbau bleibt prioritär. Thüringen hat
beim flächendeckenden Breitbandausbau in den letz-
ten Jahren zwar enorm zugelegt: Über eine Million
Haushalte und rund 3.000 Orte verfügen über eine
Internet-Grundversorgung von mindestens 2 MBit pro
Sekunde. Das entspricht einer Breitbandabdeckung
von 97 Prozent der Orte. Allerdings hinkt der Freistaat
bei der Versorgung mit dem schnellen Internet hinter-
her. Bei Übertragungsraten von 50 MBit pro Sekunde
liegen wir noch unter 30 Prozent. Zudem gilt es, den
Mittelstand auf dem Weg zur Industrie 4.0 zu unter-
stützen, die Digitalisierung der Produkte und Prozesse
ist zukünftig ein Muss für die Wettbewerbsfähigkeit.
Fragen der Datensicherheit und völlig neuer
Arbeitsregimes stehen auf der Tagesordnung. All die-
se Themen sind noch viel zu wenig im Fokus der
Unternehmen, das will ich ändern.
Wie sind Sie eigentlich selbst digital unterwegs? Kann
man sich mit dem Thüringer Wirtschafts- und Digital-
minister befreunden?
Ja, definitiv. Ich werde weiterhin digital präsent sein,
in Kürze mit meinem Facebook-Profil als Thüringer
Wirtschafts- und Wissenschaftsminister, und bis dahin
können Sie mit mir auf der offiziellen Facebookseite
des Thüringer Wirtschaftsministeriums
Kontakt aufnehmen und meine Akti-
vitäten verfolgen.
Mit der letzten Frage wollen wir an den
Ausgangspunkt unseres Interviews zu-
rückkommen. Ihre Berufung nach Thü-
ringen bedeutet gleichzeitig den Ab-
schied aus Berlin. Dort haben Sie neben
Ihrem Bundestagsmandat auch den
Vorsitz des Vereins „Gegen Vergessen –
für Demokratie e.V.“ innegehabt. Das
erklärt sich nicht zuletzt aus Ihrer
Biografie, die man für die DDR-Zeit mit
einem Wort als nicht systemkonform
bezeichnen kann. Bleibt für dieses En-
gagement jetzt noch Zeit? Oder anders
gefragt: Werden Sie im Nebenamt Thü-
ringer Aufarbeitungsminister?
Die rot-rot-grüne Landesregierung hat
sich vorgenommen, die weitere Aufar-
beitung der DDR-Vergangenheit voran-
zutreiben, denn dieses Thema ist nach
wie vor und nicht zuletzt für die Opfer
von Repression aktuell. Die Koalitions-
partner halten in der Präambel des Koa-
litionsvertrages fest: Die DDR war eine
Diktatur, kein Rechtsstaat. Ausgehend
vom dort akzeptierten Begriff des Un-
rechtsstaates soll die schonungslose
Aufarbeitung der Alltagsdiktatur voran-
getrieben werden. Ich selbst habe in der
DDR gelebt, bin in einer widerständigen
Familie aufgewachsen. Ich weiß, was es
heißt, ein richtiges Leben in einem fal-
schen Staat geführt zu haben. Und ich
lege Wert darauf, die Biografien der
DDR-Bürger nicht im Nachhinein zu
entwerten, sondern differenziert zu be-
trachten. Die Linkspartei in Thüringen
will sich offensichtlich der Vielschich-
tigkeit der DDR-Geschichte und dem
Unrecht der DDR-Diktatur stellen. Den
Worten müssen nun eine intensive Aus-
einandersetzung mit diesem Thema
und konkrete Taten folgen. Dazu will
ich meinen Beitrag leisten.
Das Interview führte Torsten Laudien
„Thüringen ist in
Wirtschaft, Wissenschaft
und Forschung gut
aufgestellt.“
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